5. November 2016
Ricarda de Haas: oral literal medial? Assoziationen zwischen Kiez und Welt
https://alphabettinenblog.com/2016/11/05/geisterhaft/
Ich sitze im Dunkeln, nur der Bildschirm leuchtet. Maskierte Kinder laufen unter meinem Fenster durch nächtliche Straßen. Die Automatenstimme hat einen dezenten Hall. Der Freund ist nicht erreichbar. Eine Intervention der Gespenster? Oder doch nur Schloss Solitude im Funkloch? Es hat sich schon herum gesprochen: der schöne Rückzugsort für Künstler verharrt – bewusst oder zufällig – in einer partiell prädigitalen Postmoderne. Zum Glück gibt es das kabelgebundene Web. Ich lausche dem Skype-Ruf, der immer so klingt, als würde man unter Wasser funken: bub-bub-bub-blib, bub-bub-bub-blib..
Mein Bildschirm wird schwarz. Der Freund hat abgehoben. Hallo, sage ich. Statt einer Antwort verzerrte Geräusche. Richtig schlechte Verbindung, denke ich. Ich will schon auflegen, da taucht kurz ein Gesicht auf, eine Hand. Dann wieder Schatten. Ein Lichtreflex auf verkabelten Geräten.
Harsche Töne, schräg, verzerrt. Und doch: da ist ein Muster im Geräusch. Hm, diese Geister klingen sehr zeitgenössisch. Das ist Noise! Ich bin wohl mitten in eine Probe geraten. Ich rufe laut Hallo? Als Antwort eine Kaskade von schrillen Tönen. Darunter ein Klangteppich, dunkel, rund, fast sphärisch. Ich lehne mich zurück und lausche. Lausche. Da proben zwei und wissen nicht, dass jemand sie hört. Anscheinend hat nur das Handy entschieden, meinen Ruf anzunehmen. Ich bin Zaungast aus 600km Entfernung. Ich empfinde eine merkwürdige Dankbarkeit gegenüber dem Gerät.
Die Geräusche in meiner Hand klingen ziemlich verrückt. Aber sie sind Musik. Ich sitze, umhüllt von Dunkelheit und Klang. Lasse mich entführen in eine andere Welt, schrill und schräg und schön. Mitten in diesem Ungebändigten finde ich Harmonie. Mein Bildschirm bleibt schwarz. Ab und zu blitzt ein Neonstrahl darin auf. Noch nie war Halloween so magisch.
copyright (text and pictures) Ricarda de Haas 2016/2021